Arbeitsrecht
von Kay Uwe Erdmann

Überhöhte Betriebsratsvergütung

Die 16. große Strafkammer des Landgerichts Braunschweig entschied mit Urteil vom 28.09.2021 – 16 KLs 406 Js 59398/16, dass aufgrund des unentgeltlichen Ehrenamts eine Bezahlung von Betriebsräten als „Co-Manager“ oder „auf Augenhöhe“ mit den Verhandlungspartnern auf Arbeitgeberseite unzulässig ist. Eine überhöhte Betriebsratsvergütung ist mit §§ 37 und 78 BetrVG nicht vereinbar.

Sachverhalt

Gegenstand des Verfahrens war der Vorwurf, hochrangige Manager des VW-Konzerns - im Folgenden die Angeklagten - hätten als Personalverantwortliche in den Jahren 2011 bis 2016 fünf Betriebsräten, u.a. dem ehemaligen Vorsitzenden des Gesamtbetriebsrats, zu hohe Vergütungen und Boni bezahlt und damit den Tatbestand der Untreue gem. § 266 StGB erfüllt. Insgesamt seien im Tatzeitraum Entgelte und Jahresboni in einer Gesamthöhe von 5.056.206,95 Euro zu viel bewilligt worden. Aufgrund des Vorschlags der sog „Kommission Betriebsratsvergütung“, welcher die Angeklagten angehörten, wurde entgegen den Regeln des BetrVG von 2011 bis 2016 überhöhte Gehälter und Boni für die gem. § 38 BetrVG freigestellten Betriebsratsmitglieder gewährt, die diese ohne ihre Tätigkeit im Betriebsrat nicht erhalten hätten. Entgegen der gesetzlichen Vorgaben des § 37 Abs. 4 und § 78 S. 2 BetrVG sind die Angeklagten bewusst von einer unzutreffenden Vergleichsgruppe bei der Bestimmung des Entgelts ausgegangen. Dabei wurden die Vergleichsgruppen so gewählt, dass ein scheinbar höheres Gehalt gerechtfertigt erschien, obwohl die Angeklagten wussten, dass dies nicht der Fall war und die überhöhten Zahlungen nur aufgrund der Tätigkeit im Betriebsrat gewährt wurden. Die Zahlungen waren nach dem „Deutschen Corporate Governance Index“ und nach § 93 AktG verboten und stellten eine Pflichtverletzung dar. Die 16. große Strafkammer sprach die Angeklagten aus tatsächlichen Gründen frei, da die getroffenen Feststellungen einen Tatvorsatz der Angeklagten hinsichtlich der Pflichtwidrigkeit ihres Handelns nicht begründen. Die Angeklagten unterlagen einem Tatbestandsirrtum nach § 16 StGB.

Problem

Die Verwirklichung des objektiven Tatbestands der Untreue gem. § 266 Abs. 1 StGB erfordert, dass der Täter pflichtwidrig gehandelt hat. Die Pflichtwidrigkeit ergibt sich in dem von der großen Strafkammer entschiedenen Fall aus einem Verstoß gegen § 93 AktG i.V.m. Ziff. 4.3.2. des Deutschen Corporate Governance Kodexes. Diese Regelungen gehen wiederum auf die §§ 37, 78 BetrVG zurück. Die Frage, wie die §§ 37 und 78 BetrVG zutreffend zu verstehen sind, ist von essentieller Bedeutung für die Feststellung, ob die Angeklagten den objektiven Tatbestand der Untreue erfüllt haben. Umstritten war bislang, ob bei einer Gehaltserhöhung eines Betriebsratsmitglieds auch Aspekte mit einbezogen werden können, die das Betriebsratsmitglied allein durch die Ausübung seiner Betriebsratstätigkeit verwirklicht.

Auslegung der zugrundeliegenden Vorschriften

Gemäß § 37 Abs. 1 BetrVG führen die Mitglieder des Betriebsrats ihr Amt unentgeltlich als Ehrenamt. Aus dessen Abs. 2 lässt sich entnehmen, dass den Mitgliedern des Betriebsrats ihr Lohnausfall ersetzt werden muss. Durch das Ehrenamtsprinzip soll zudem die innere und äußere Unabhängigkeit des Betriebsrats gewahrt werden. Nach § 37 Abs. 4 BetrVG darf das Arbeitsentgelt von Mitgliedern des Betriebsrates nicht geringer bemessen werden als das Arbeitsentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung. Die gesetzliche Regelung beabsichtigt eine Benachteiligung des Betriebsratsmitglieds in wirtschaftlicher und/ oder beruflicher Hinsicht zu vermeiden. Um dieses Ziel zu erreichen, stellt das Gesetz nicht auf die hypothetische Entwicklung des Betriebsratsmitglieds, sondern auf die Gehaltsentwicklung der mit dem Betriebsratsmitglied vergleichbaren Arbeitnehmern ab. Dabei wird nach der Rechtsprechung unter einer betriebsüblichen Entwicklung eine solche verstanden, die bei objektiv vergleichbarer Tätigkeit Arbeitnehmer mit vergleichbarer fachlicher und persönlicher Qualifikation unter Berücksichtigung der normalen betrieblichen und personellen Entwicklung in beruflicher Hinsicht genommen hätten. Nach der Rechtsprechung des BAG ist die Übertragung einer höherwertigen Tätigkeit nur dann als betriebsüblich i.S.d. § 37 Abs. 4 BetrVG anzusehen, wenn dem Betriebsratsmitglied die höherwertige Tätigkeit nach den betrieblichen Gepflogenheiten hätte übertragen werden müssen oder die Mehrzahl einen solchen Aufstieg erreicht. Neben der Regelung des § 37 BetrVG ist die Regelung des § 78 S. 2 BetrVG zu beachten. Danach dürfen Mitglieder des Betriebsrats wegen ihrer Tätigkeit nicht benachteiligt oder begünstigt werden; dies gilt auch für ihre berufliche Entwicklung. Aus diesem Grund verlangt die Vorschrift den Nachweis, dass das Betriebsratsmitglied ohne seine Tätigkeit als Mitglied des Betriebsrats mit einer Aufgabe betraut worden wäre, die ihm einen Anspruch auf das begehrte Entgelt gibt, mithin die Darlegung einer anderen, schnelleren Entwicklung als diejenige der vergleichbaren Arbeitnehmer i.S.d. § 37 Abs. 4 BetrVG.

Entscheidung des Landgerichts Braunschweig

Das Landgericht Braunschweig vertritt eine strenge Ansicht und entschied, dass eine Bezahlung von Betriebsratsmitgliedern als „Co-Manager“ oder „auf Augenhöhe“ mit den Verhandlungspartnern auf Arbeitgeberseite unzulässig sei. Eine solche entsprechende, tätigkeitsbezogene Vergütung sei mit dem BetrVG, insbesondere mit § 37 Abs. 1, 4 und § 78 S. 2 BetrVG nicht vereinbar. Lediglich die fiktive Arbeitsleistung des Betriebsratsmitglieds als Arbeitnehmer sei nach dem Gesetz zu vergüten. Insbesondere seien Vergütungssysteme unzulässig, die sich nicht an vergleichbaren Arbeitnehmern orientieren. Zugrunde zu legen sei vielmehr die betriebsübliche Entwicklung vergleichbarer Arbeitnehmer, mithin der typische Normalverlauf. Hingegen dürfen Sonderkarrieren, welche das Betriebsmitglied durch Fähigkeiten und Kenntnisse während seiner Zeit im Betriebsrat erworben hat, nicht berücksichtigt werden.

In der Literatur werden zuweilen auch eine vermittelnde sowie eine weite Ansicht vertreten. Die vermittelnde Ansicht will zumindest solche Qualifikationen, die während der Betriebsratstätigkeit erlangt werden, für eine berufliche Fortentwicklung aus der ursprünglichen Vergleichsgruppe heraus anerkennen, soweit sie einen Bezug zu der ursprünglich ausgeübten Tätigkeit aufweisen und für diese verwendbar wären. Allerdings könne ein Betriebsratsmitglied auch nach dieser Ansicht nicht mit Führungskräften finanziell gleichgestellt werden, sodass weiterhin eine Orientierung an vergleichbaren Arbeitnehmern stattfindet.

Nach der weiten Ansicht sei hingegen eine Entwicklung von Betriebsräten in den Bereich herausgehobener Managementvergütung denkbar, sofern nachgewiesene praktische Fähigkeiten und Fertigkeiten dies rechtfertigen würden. Es sei zu berücksichtigen, dass die Besetzung von besonders gehobenen Positionen nicht mehr über die betriebsübliche Entwicklung erfolge, sondern eine individuelle Entscheidung des Arbeitgebers darstelle. Dabei berücksichtige der Arbeitgeber auch die im Betriebsrat erworbenen Fähigkeiten und Kenntnisse, um eine sonst ggf. vorliegende Benachteiligung zu vermeiden. Eine Grenze sei erst dort zu ziehen, wo die Beförderung nur durch die Betriebsratstätigkeit begründet werden könne.

Resümee

Die Entscheidung des Landgerichts Braunschweigs ist nicht zu beanstanden. Der Gesetzgeber hat mit den §§ 37 Abs. 1, 4 und § 78 S. 2 BetrVG klare Regelungen geschaffen, die mit einer weiten Ansicht nicht vertretbar sind. § 37 Abs. 4 BetrVG ist insbesondere als Konkretisierung des Begünstigungs- und Benachteiligungsverbots anzusehen. Es würde jedoch eine Begünstigung darstellen, wenn Betriebsratsmitglieder aufgrund ihrer im Betriebsrat entwickelten Fertigkeiten und Fähigkeiten eine höhere Vergütung als nicht im Betriebsrat tätige Arbeitnehmer erhalten würden, die solche Fähigkeiten mangels einer Betriebsratstätigkeit nicht erwerben konnten. Insofern gilt es auch das Prinzip des Ehrenamtes aus § 37 Abs. 1 BetrVG zu berücksichtigen. Hierdurch findet eine Entkoppelung des Betriebsratsamtes zur normalen Arbeit statt, um zu verdeutlichen, dass mit der Ausübung eines solchen Amtes weder Vor- noch Nachteile verbunden sind. Dies wird dadurch verstärkt, dass der Betriebsrat für seine Tätigkeit keine gesonderte, vom normalen Lohn losgelöste Vergütung erhält. Das Gegenteil ist der Fall. Das Gesetz stellt in § 37 Abs. 4 BetrVG zur Bestimmung der Vergütung der Betriebsratsmitglieder auf vergleichbare Arbeitnehmer mit betriebsüblicher Entwicklung ab.  Dies spricht dafür, Fähigkeiten und Fertigkeiten, die ein Mitglied des Betriebsrats während seiner Betriebsratstätigkeit erworben hat, unberücksichtigt zu lassen. Auch sprechen Sinn und Zweck des Betriebsratsamtes gegen eine erhöhte, von einem vergleichbaren Arbeitnehmer losgelöste Vergütung. Denn nach der gesetzlichen Konzeption wird das Betriebsratsamt im Interesse der Beschäftigten ausgeübt, weshalb es als Ehrenamt konzipiert worden ist. Aus diesem Grund darf es nicht dem beruflichen Aufstieg dienen. Ansonsten läge ein Widerspruch zu § 37 Abs. 1 BetrVG und ein Verstoß gegen das Begünstigungsverbot aus § 78 S. 2 BetrVG dar.

Handlungsempfehlung

Arbeitgebern ist zu empfehlen diese Entscheidung trotz des Freispruchs der Angeklagten zu beachten. Die Angeklagten unterlagen lediglich einem Tatbestandsirrtum nach § 16 StGB, da in einem ähnlichen Fall die Staatsanwaltschaft das Verfahren eingestellt hatte, weshalb die Angeklagten von einer fehlenden Strafbarkeit ausgingen. Sie irrten deshalb über das Merkmal der Pflichtwidrigkeit, welches zum gesetzlichen Tatbestand der Untreue gem. § 266 StGB gehört. Da eine Berufung auf einen Irrtum nun nicht mehr in Betracht kommt, ist Arbeitgebern zu raten, die Vergütung der Betriebsratsmitglieder zu überprüfen. Eine Vergütung eines Betriebsrats nahe am Managementniveau kann auch nicht damit gerechtfertigt werden, dass dem jeweiligen Betriebsratsmitglied vor seiner Tätigkeit im Betriebsrat entsprechende Stellen im Management seitens des Arbeitgebers angeboten wurden. Dem stehen ebenfalls die Vorschriften des § 37 und 78 BetrVG entgegen. Angesichts dieser Entscheidung sollten Arbeitgeber ggf. Gehaltsanpassungen bei ihren Betriebsratsmitgliedern vornehmen, um nicht den Tatbestand der Untreue gem. § 266 StGB zu erfüllen.


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