Arbeitsrecht
von Kay Uwe Erdmann

Die elektronische Arbeits­unfähigkeits­bescheinigung

Seit dem 01.01.2021 bestimmt § 295 Abs. 1 S. 10 i.V.m. Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB V, dass die Arbeits­unfähigkeits­daten von den Ärzten nicht mehr in Papierform, sondern unmittelbar elektronisch an die gesetzlichen Krankenkassen zu übermitteln sind. Aus technischen Gründen erfolgte die Umstellung erst zum 01.10.2021. Nach zahlreichen Verzögerungen soll nun auch zum 01.01.2023 der Arbeitgeber die elektronische Arbeits­unfähigkeits­bescheinigung bei der gesetzlichen Krankenkasse abrufen können. Mit der neuen Rechtslage gehen mehrere ungeklärte Fragen und Probleme einher, weshalb der folgende Beitrag eine Übersicht über die aktuelle Lage vermitteln und Arbeitgeber auf sensibilisieren soll, was sie nun beachten müssen.

Gesetzliche Grundlagen und Ablauf

Mit der Änderung des § 295 SGB V wurde eine gesetzliche Grundlage für die elektronische Übermittlung der Arbeits­unfähigkeits­bescheinigung geschaffen. Die Krankenkassen erhalten gem. § 295 Abs. 1 S. 1 SGB V von den an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzten und Einrichtungen in Fällen einer Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers[1] die Arbeits­unfähigkeits­daten elektronisch übermittelt. Mit Neufassung des § 109 Abs. 1 SGB IV gilt ab dem 01.07.2022, dass Krankenkassen nach Eingang der Arbeits­unfähigkeits­bescheinigung nach § 295 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB V eine Meldung zum Abruf für den Arbeitgeber zu erstellen haben. Den Inhalt des Datensatzes gibt § 109 Abs. 1 SGB vor. Arbeitgeber können danach den Namen des Beschäftigten, den Beginn und das Ende der Arbeitsunfähigkeit, das Datum der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit, die Kennzeichnung als Erst- oder Folgemeldung und die Angabe, ob Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Arbeitsunfähigkeit auf einem Arbeitsunfall oder sonstigen Unfall oder auf den Folgen eines Arbeitsunfalls oder sonstigen Unfalls beruht, bei der Krankenkasse abrufen.

Abruf der elektronischen Arbeits­unfähigkeits­bescheinigung

Die Arbeits­unfähigkeits­daten dürfen nur von dem jeweiligen Arbeitgeber abgerufen werden, der zum Erhalt der Daten berechtigt ist. Eine Berechtigung zum Abruf der elektronischen Arbeits­unfähigkeits­meldung bei der Krankenkasse durch den Arbeitgeber liegt dann vor, wenn der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Arbeitsunfähigkeit bei ihm beschäftigt ist und der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber die abzurufende Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer nach § 5 Abs. 1 S. 1 EFZG angezeigt hat. Der Arbeitgeber hat die elektronische Arbeits­unfähigkeits­bescheinigung bei der jeweiligen Krankenkasse abzurufen, bei welcher im anzufragenden Zeitpunkt die Versicherung des Arbeitnehmers bestand. Dabei müssen die Daten gesichert und verschlüsselt und durch systemgeprüfte Programme übertragen werden.

Zeitpunkt des Abrufs

Nach § 5 Abs. 1 EFZG ist der Arbeitnehmer verpflichtet, dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich mitzuteilen. Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als drei Kalendertage, hat der Arbeitnehmer eine ärztliche Bescheinigung über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer spätestens an dem darauffolgenden Arbeitstag vorzulegen. An dieser Regelung hat sich durch die Einführung der elektronischen Arbeits­unfähigkeits­bescheinigung nichts geändert. Allerdings gilt es für den Arbeitgeber zu beachten, dass ein Abruf der elektronischen Arbeits­unfähigkeits­bescheinigung nur dann sinnvoll ist, wenn der Arbeitnehmer zu diesem Zeitpunkt bereits verpflichtet ist, eine Arbeitsunfähigkeit durch den Arzt feststellen zu lassen und dementsprechend eine solche Bescheinigung bereits vom Arzt an die Krankenkasse übermittelt wurde. Von einer tatsächlichen ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers kann infolgedessen mit hoher Wahrscheinlichkeit erst am 4. Tag der Arbeitsunfähigkeit ausgegangen werden. Aus diesem Grund sollte auch wegen der zeitversetzten Übermittlung vom Arzt an die Krankenkasse eine Abfrage der Arbeits­unfähigkeits­bescheinigung durch den Arbeitgeber erst ab dem 5. Tag der Arbeitsunfähigkeit erfolgen. Ist der Arbeitnehmer nach § 5 Abs. 1 S. 3 EFZG zu einer vorzeitigen ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit gegenüber dem Arbeitgeber verpflichtet, ist wegen der zeitlichen Versetzung der Übermittlung vom Arzt an die Krankenkasse eine Abfrage der Arbeits­unfähigkeits­bescheinigung durch den Arbeitgeber frühestens am 2. Tag nach er Arbeitsunfähigkeit sinnvoll.

Vorlage- und Nachweispflicht

Arbeitnehmer sind weiterhin zukünftig im Rahmen der Anzeigepflicht verpflichtet dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit und die voraussichtliche Dauer mitzuteilen, vgl. § 5 Abs. 1 S. 1 EFZG. Die bis dato bestehende Vorlagepflicht des Arbeitnehmers entfällt jedoch. Die Arbeits­unfähigkeits­bescheinigung wird künftig vom Arzt an die Krankenkasse übermittelt, bei welcher der Arbeitgeber die Arbeits­unfähigkeits­bescheinigung abrufen kann. Arbeitgeber können auch einen Dritten mit der Abrufung der Meldung bei der Krankenkasse beauftragen. Damit findet ein Übergang von der bislang bestehenden Bringschuld des Arbeitnehmers zu einer Holschuld des Arbeitgebers statt. Nach wie vor trifft den Arbeitnehmer jedoch die Nachweispflicht der Arbeitsunfähigkeit. Vor diesem Hintergrund muss der Arbeitnehmer sich weiterhin eine Bescheinigung in Papierform geben lassen, um im Streitfall bei Störungen im Meldevorgang gerichtlich oder außergerichtlich die Arbeitsunfähigkeit für den Entgelt­fortzahlungs­anspruch beweisen zu können.

Risikotragung

Auch wenn der Arbeitnehmer weiterhin zum Nachweis verpflichtet bleibt, so geht dennoch das Risiko in Störfällen auf den Arbeitgeber über. So kann es nämlich bei der Übermittlung der Arbeits­unfähigkeits­daten zu einer Vielzahl von Störungen kommen, wie beispielsweise, dass der Arzt die Daten verspätet an die Krankenkasse übermittelt, oder ein Arbeitnehmer die Krankenkasse wechselt und der Arzt die Daten an die falsche Krankenkasse übermittelt oder es allgemein zu Fehlern bei der Übermittlung kommt. Die Pflicht des Arbeitgebers zur Entgelt­fortzahlung im Krankheitsfall bleibt in all diesen Fällen bestehen. Währenddessen kann sich der Arbeitgeber aber nicht mehr auf das etwaig früher bestehende Leistungs­verweigerungs­recht berufen, da dieses an die Nichtvorlage einer Arbeits­unfähigkeits­bescheinigung geknüpft ist, vgl. § 7 Abs. 1 EFZG. Mit Wegfall der Vorlagepflicht des Arbeitnehmers trägt der Arbeitgeber das gesamte Risiko im Meldeprozess. Abhilfe soll die an den Arbeitnehmer auszustellende schriftliche Bescheinigung schaffen, da die Nachweispflicht des Arbeitnehmers bestehen bleibt. Die Ausfertigung, die der Arbeitnehmer derzeit erhält, beinhaltet jedoch die Diagnose. Bei dieser handelt es sich um ein besonders sensibles gesundheitsbezogenes Datum, weshalb der Arbeitnehmer die Vorlage der Bescheinigung verweigern kann. Bislang ist völlig unklar, ob die künftig nach § 109 Abs. 1 S. 5 SGB IV n.F. durch den Arzt auszuhändigende Bescheinigung Angaben zur gesundheitlichen Diagnose des Arbeitnehmers enthält oder nicht. Von den Vorschriften des EFZG kann außerdem nicht zuungunsten der Arbeitnehmer abgewichen werden. Letztendlich führt der Wegfall der Vorlagepflicht nicht nur zur Risikotragung des Arbeitgebers, sondern auch zum Wegfall von dessen Leistungsverweigerungsrechts.

Handlungsempfehlung

Arbeitgeber sollten sich bereits jetzt auf die Einführung der elektronischen Arbeits­unfähigkeits­bescheinigung vorbereiten, indem sie zum einem ihre beschäftigten Arbeitnehmer über die neuen Regelungen informieren und zum anderen, indem sie die bisherigen Musterarbeitsverträge an die neuen geltenden Regelungen anpassen. Bei der Vertragsgestaltung muss ein etwaiger Krankenkassenwechsel sowie die Differenzierung zwischen privat und gesetzlich krankenversicherten Arbeitnehmern berücksichtigt werden. Klauseln, die in bereits bestehenden Arbeitsverträgen die alte Rechtslage wiedergeben, müssen nicht angepasst werden, da diese ab dem 01.01.2023 nichtig werden. An die Stelle der alten Klauseln tritt das Gesetz und damit die neuen gesetzlichen Regelungen. Hinsichtlich der technischen Umsetzung ist den Arbeitgebern zu raten bereits frühzeitig - spätestens jetzt - die technischen Voraussetzungen für die erforderliche IT-Schnittstelle mit den Krankenkassen zu schaffen, um einen reibungslosen Übergang zu dem neuen Verfahren sicherzustellen.


[1] Im vorliegenden Beitrag wird aus Vereinfachungsgründen nur die männliche Form des Arbeitnehmers verwendet. Erfasst sind aber ausdrücklich alle Arbeitnehmer unabhängig von ihrem Geschlecht.


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