Betriebsratswahlen 2022 – Digital?
Vom 01. März bis zum 31. Mai 2022 finden in Deutschland wieder Betriebsratswahlen in über 10.000 Betrieben statt. Der Betriebsrat ist Repräsentant der Arbeitnehmer/innen[1] und seine Hauptaufgabe besteht darin die Interessen der Beschäftigten gegenüber dem Arbeitgeber wahrzunehmen. Alle vier Jahre wählen Beschäftigte ab einem Alter von 16 Jahren ihre Vertreter und Vertreterinnen für den Betriebsrat. Aufgrund der anhaltenden pandemischen Lage und der damit verbundenen Schutzmaßnahmen stellt sich für die diesjährigen Betriebsratswahlen die Frage, ob diese digital ablaufen werden. Der Beitrag beschäftigt sich zum einem mit der Frage, inwieweit ein digitaler Ablauf von Betriebsratswahlen möglich ist und zum anderen, ob ein digitaler Ablauf mit dem Datenschutzrecht vereinbar ist.
Bestellung des Wahlvorstandes
Die Regelungen über die Betriebsratswahlen sind in §§ 7 ff. BetrVG normiert. Den genauen Ablauf der Betriebsratswahlen regeln die §§ 16 bis 18 BetrVG. Zunächst bestellt der Betriebsrat spätestens zehn Wochen vor Ablauf seiner Amtszeit einen aus drei Wahlberechtigten bestehenden Wahlvorstand und einen von ihnen als Vorsitzenden, vgl. § 16 BetrVG. Durch die Einführung des § 30 Abs. 2 BetrVG kann die Bestellung des Wahlvorstandes durch den Betriebsrat nunmehr digital per Video- oder Telefonkonferenz erfolgen, da es sich hierbei um eine Betriebsratssitzung im Sinne des § 30 BetrVG handelt. Etwas anderes gilt jedoch in dem Fall, indem in einem Betrieb weder ein Betriebsrat noch ein Gesamt- oder Konzernbetriebsrat etabliert wurde. Der Wahlvorstand wird in diesem Fall nicht in einer Betriebsratssitzung bestellt, sondern in einer Betriebsversammlung von der Mehrheit der anwesenden Mitglieder gewählt, vgl. § 17 Abs. 2 Satz 1 BetrVG. Die Norm setzt demgemäß eine Anwesenheit der Mitglieder voraus, weshalb ein digitaler Ablauf der Betriebsratswahlen nach § 17 Abs. 2 BetrVG grundsätzlich ausscheidet.
Keine analoge Anwendung des § 30 Abs. 2 BetrVG
Eine analoge Anwendung des § 30 Abs. 2 BetrVG auf diesen Fall scheidet aus. Anlässlich der Pandemie hat der Gesetzgeber § 129 BetrVG eingeführt, wonach Versammlungen nach den §§ 42, 53 und 71 BetrVG bis zum Ablauf des 19. März 2022 auch mittels audiovisueller Einrichtungen durchgeführt werden können. Der Gesetzgeber hat die planwidrige Regelungslücke hinsichtlich Versammlungen erkannt und mit Einführung von § 129 BetrVG eine Ausnahmeregelung geschaffen. Er hat sich folglich bewusst gegen die Aufführung der Vorschrift des § 17 Abs. 2 BetrVG über die Betriebsratswahl in § 129 BetrVG entschieden, vgl. ArbG Saarland, Beschl. v. 12. 02.2021, Az. 10 BV 94/20, ArbG Lingen, Beschl. v. 19. 03 2021, Az. 1 BV1/21. Aufgrund dessen ist die Regelungslücke nicht planwidrig. Darüber hinaus sind Ausnahmeregelungen nicht analogiefähig.
Zwar kann in dem Fall des § 17 Abs. 2 BetrVG die Anwesenheitspflicht nach der derzeitigen gesetzlichen Lage nicht umgangen werden, aber es besteht zum einem die Möglichkeit die Betriebsratswahlen auf einen Zeitpunkt im Sommer zu verschieben und zum anderen besteht die Möglichkeit einen Antrag beim Arbeitsgericht auf Bestellung eines Wahlvorstandes gem. § 17 Abs. 4 BetrVG zu stellen.
Für den Fall, dass ein Wahlvorstand bestellt wurde, hat dieser die Wahl unverzüglich einzuleiten, sie durchzuführen und das Wahlergebnis festzustellen, vgl. § 18 Abs. 1 BetrVG. Die Leitung der Wahl obliegt dem Wahlvorstand, wobei die Sitzungen des Wahlvorstandes grundsätzlich als Präsenzsitzungen stattfinden gem. § 1 Abs. 3 WO. Abweichend des Abs. 3 kann der Wahlvorstand jedoch beschließen, dass die Teilnahme an einer nicht öffentlichen Sitzung des Wahlvorstandes mittels Video- und Telefonkonferenz erfolgen kann, vgl. § 1 Abs. 4 WO. Dies gilt jedoch nicht für Sitzungen des Wahlvorstands im Rahmen einer Wahlversammlung nach § 14a Abs. 1 Satz 2 BetrVG, zur Prüfung eingereichter Vorschlagslisten nach § 7 Abs. 2 Satz 2 BetrVG und zur Durchführung eines Losverfahrens nach § 10 Abs. 1 BetrVG. Hier bleibt es bei dem Grundsatz der Präsenzsitzungen.
Problematik der Unterzeichnung der Wahlvorschläge
Zur Wahl des Betriebsrats können die wahlberechtigten Arbeitnehmer und die im Betrieb vertretenen Gewerkschaften Wahlvorschläge machen, vgl. § 14 Abs. 3 BetrVG. Dabei bedarf es in Betrieben mit in der Regel bis zu 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern keiner Unterzeichnung von Wahlvorschlägen, vgl. § 14 Abs. 4 Satz 1 BetrVG. Allerdings sind Wahlvorschläge in Betrieben mit in der Regel 21 bis 100 wahlberechtigten Arbeitnehmern von mindestens zwei wahlberechtigten Arbeitnehmern und in Betrieben mit mehr als 100 Arbeitnehmern von einem Zwanzigstel der wahlberechtigten Arbeitnehmer zu unterschreiben. In Bezug auf einen digitalen Ablauf der Betriebsratswahlen ist hier problematisch, dass die Wahlvorschläge persönlich unterschrieben sein müssen. Bei einem Betrieb von mehr als 100 Arbeitnehmern stellt dies eine Herausforderung dar, denn eine Unterzeichnung auf einem Kettenfax oder durch Einscannen der Unterschrift ist nach dem BAG nicht zulässig. Bei der Einreichung ist zu beachten, dass die Unterschriften für den Wahlvorschlag erforderlich sind. Diese müssen sich daher entweder auf dem Wahlvorschlag selbst befinden oder die Unterschriftenliste und der Wahlvorschlag müssen eine einheitliche Urkunde bilden.
Ersetzung der persönlichen Stimmabgabe durch Briefwahl?
Bei mehreren Vorschlagslisten im Sinne des § 14 Abs. 2 Satz 1 BetrVG sieht das Wahlverfahren nach § 11 Abs. 1 WO die Stimmabgabe durch die Abgabe von Stimmzetteln vor. Dabei handelt es sich um eine persönliche Stimmabgabe. Nur für den Fall der Verhinderung wegen Abwesenheit vom Betrieb sieht § 24 WO eine Ausnahme für die persönliche Stimmabgabe in Form einer Briefwahl vor. Abwesend vom Betrieb ist eine wahlberechtigte Person, wenn sie zum Zeitpunkt der Wahl voraussichtlich nicht im Betrieb anwesend sein wird. Dies gilt insbesondere für Beschäftigte im Außendienst oder mit Telearbeit oder mit Heimarbeit Beschäftigte, vgl. § 24 Abs. 2 Nr. 1 WO. Unter Abwesenheit fallen auch andere Gründe, insbesondere das Ruhen des Arbeitsverhältnisses sowie die Arbeitsunfähigkeit. Der Wahlvorstand ist allerdings nicht dazu ermächtigt, die Briefwahl für alle zu beschließen. Dies sieht das Gesetz auch in Pandemiezeiten nicht vor. Der Wahlvorstand muss die persönliche Stimmabgabe unter den geltenden Schutzanforderungen ermöglichen. Er hat allerdings die Möglichkeit, die Briefwahl zu bewerben, denn auf Verlangen kann jeder Wahlberechtigte per Briefwahl abstimmen.
Berücksichtigung datenschutzrechtliche Aspekte bei digitalen Betriebsratswahlen
Vor dem Hintergrund, dass bei Betriebsratswahlen personenbezogene Daten erhoben und verarbeitet werden, ist fraglich ob ein digitaler Ablauf der Betriebsratswahlen mit dem Datenschutzrecht vereinbar ist.
Gemäß § 2 Abs. 1 WO hat der Wahlvorstand für jede Betriebsratswahl eine Liste der Wahlberechtigten (Wählerliste) aufzustellen. Dabei sollen die Wahlberechtigten mit Familiennamen, Vornamen, ihrem Geburtsdatum und darüber hinaus getrennt nach Geschlechtern in den Listen aufgeführt werden. Die Listen enthalten demzufolge personenbezogene Daten im Sinne des § 46 Nr. 1 BDSG und im Sinne des Art. 4 Nr. 1 DS-GVO. Die Verarbeitung der personenbezogenen Daten der Wahlberechtigten durch den Betriebsrat ist rechtmäßig, denn sie beruht auf der Rechtsgrundlage des Art. 6 Abs. 1 lit. c) DS-GVO. Der Betriebsrat ist im Rahmen seiner Aufgabe, Betriebsratswahlen durchzuführen, verpflichtet oben genannte Informationen zur Erstellung der Wählerliste zu erheben und zu verarbeiten. Allerdings dient das Geburtsdatum lediglich der Überprüfung des Alters der Arbeitnehmer hinsichtlich der Wahlberechtigung durch den Betriebsrat und sollte demzufolge aus Gründen des Datenschutzes nicht veröffentlicht werden.
Die oben genannten Regelungen für die Wählerliste gelten auch für die Vorschlagsliste nach § 6 WO. Auch hier werden die personenbezogenen Daten Familienname, Vorname, Geburtsdatum und Art der Beschäftigung im Betrieb vom Betriebsrat erhoben und verarbeitet. Im Gegensatz zur Wählerliste sieht die WO die Veröffentlichung des Geburtsdatums bei der Vorschlagsliste explizit vor. Als Rechtsgrundlage für die Verarbeitung der personenbezogenen Daten kann hier ebenfalls Art. 6 Abs. 1 lit. c) DS-GVO herangezogen werden. Allerdings ist die schriftliche Zustimmung der Bewerberinnen oder der Bewerber zur Aufnahme in die Liste beizufügen, sodass auch die Rechtsgrundlage der Einwilligung nach Art. 6 Abs. 1 lit. a) DS-GVO in Betracht kommt.
Der Betriebsrat darf die Daten nur für die Zwecke der Betriebsratswahl verwenden. Unmittelbar nach Beendigung der Betriebsratswahl hat der Betriebsrat die Daten zu löschen. Ein Recht zur Aufbewahrung der Daten ergibt sich aus § 19 WO, wonach der Betriebsrat die Wahlakten mindestens bis zur Beendigung seiner Amtszeit aufzubewahren hat.
Auch für den Arbeitgeber als verantwortliche Stelle im Sinne des Art. 4. Nr. 7 DS-GVO bestehen in datenschutzrechtlicher als auch in arbeitsrechtlicher Hinsicht Vorgaben, die es zu beachten gilt.
So ist der Arbeitgeber gemäß § 2 Abs. 2WO in arbeitsrechtlicher Hinsicht zunächst zur Unterstützung im Rahmen der Aufstellung der Wählerlisten verpflichtet. Danach hat er dem Wahlvorstand alle für die Anfertigung der Wählerliste erforderlichen Auskünfte zu erteilen und die erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Er hat den Wahlvorstand insbesondere bei Feststellung der in § 5 Abs. 3 des Gesetzes genannten Personen zu unterstützen. Eine mangelnde Unterstützung durch den Arbeitgeber stellt eine Behinderung im Sinne des § 20 BetrVG dar, mit der Folge, dass der Straftatbestand des § 119 BetrVG verwirklicht ist.
In datenschutzrechtlicher Hinsicht hat der Arbeitgeber als Verantwortlicher bei der Übermittlung der personenbezogenen Daten an den Betriebsrat geeignete technische und organisatorische Maßnahmen zu ergreifen, um ein dem Risiko angemessenes Schutzniveau zu gewährleisten, vgl. Art. 32 Abs. 1 DSGVO. Die Sicherheit der Datenübermittlung kann der Arbeitgeber z.B. durch Verschlüsselung und Zugangsbeschränkungen – wie z.B. Passörter - der personenbezogenen Daten gewährleisten. Zudem muss er vor der Übermittlung der personenbezogenen Daten entsprechend Art. 13 DS-GVO die Arbeitnehmer über die Inhalte der Daten, über die Zwecke, die Rechtsgrundlage sowie die Dauer der Datenverarbeitung informieren.
Handlungsempfehlung
Aus meiner Sicht bestehen aufgrund der aktuellen pandemischen Lage die wenigsten Bedenken von der Möglichkeit der Briefwahl exzessiv Gebrauch zu machen, soweit sichergestellt wird, dass die Vertraulichkeit des Wortes gewahrt bleibt. Mit Blick auf das jeweilige örtliche Infektionsgeschehen erscheint es unzumutbar, dass die Arbeitnehmer ihre Stimme persönlich im Betrieb abgegeben müssen. Auch die Gerichte haben aufgrund der Pandemie einen flexibleren Maßstab in ihren Entscheidungen an den Tag gelegt, weshalb nicht unbedingt damit gerechnet werden kann, dass ein Gericht zu der Einschätzung kommt, der Wahlvorstand habe gegen die Verfahrensvorschriften der Briefwahl verstoßen. Selbst wenn das Gericht zu dieser Einschätzung gelangt, so ist die Wahl dennoch wirksam, aber anfechtbar.
Vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit der Corona- Pandemie wäre es wünschenswert gewesen, wenn der Gesetzgeber die Wahlordnung der Betriebsräte für die anstehenden Betriebsratswahlen modernisiert hätte. Stattdessen entschied sich der Gesetzgeber gegen die Online-Wahlen von Betriebsräten. Nichtsdestotrotz bedarf es einer weitgehenden Reform der Betriebsverfassung und der Wahlordnung, die dem digitalen Zeitalter gerecht wird.
[1] Im vorliegenden Beitrag wird aus Vereinfachungsgründen nur die männliche Form des Arbeitnehmers verwendet. Erfasst sind aber ausdrücklich alle Arbeitnehmer unabhängig von ihrem Geschlecht.
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